Archiv: Gegen den Staat und seine Knäste – Solidarität mit den Angeklagten vom 31.Mai!

Am 2.8. fand vor dem Amtsgericht Nürnberg der insgesamt fünfte Prozess gegen einen Aktivisten vom 31.Mai 2017 statt. Gegen das Urteil gegen ihn (Geldstrafe) hat die Staatsanwaltschaft bereits Berufung eingelegt. Ein ausführlicher Prozessbericht darüber findet sich auf der Seite der Antirepressionskampagne Ausbruch Aufbruch Anarchie.
Wir veröffentlichen an dieser ein ausführliches Statement unserer Gruppe zu den Prozessen rund um den 31.Mai und unserer Kritik am Knastsystem insgesamt. In verkürzter Form wurde dieses Statement auf der Kundgebung am 2.8. als Rede verlesen.
Außerdem rufen wir dazu auf, auch bei den kommenden Prozessen die Angeklagten solidarisch zu unterstützen. Das nächste Verfahren gegen diesmal zwei Personen gleichzeitig wird am 21.9. stattfinden.


Dies ist bereits das fünfte Mal, das wir uns infolge des 31.Mais zu einem Prozessauftakt hier versammeln.
Wenn ihr euch noch erinnert, wie sich mutige Menschen gegen eine Abschiebung und die damit verbundene Gewalt der Polizei gestellt haben, wie für einen Tag die Kraft der Solidarität die staatlichen Zwänge überwunden hat, dann erinnert ihr euch sicherlich auch an das Gefühl der Verbundenheit, das an diesem Tag einander fremde Menschen zusammengeschweißt hat. Diese Kraft der Solidarität ist am heutigen Tag wieder zu spüren.

Nur mit den Bändern der Solidarität und Freundschaft können wir uns gegen jene stellen, die uns gespalten und vereinzelt sehen wollen.
Genau das war auch der Fall, als der Staat in Form seines Schläger*innentrupps von seiner autoritären Macht gebrauch machen wollte, um Asif aus der Schule zu ziehen, ihn zu entführen und anschließend in ein Kriegsgebiet zu verschleppen. Dass wir uns gegen diesen brutalen Akt des einfältigen Gehorsams zur Wehr gesetzt haben, war das einzig richtige! Dass ein Staat das “Recht” hat, Menschen in den Tod zu schicken und andere wegzusperren, die sich gegen dieses Greueltaten stellen, zeigt wieder einmal, was für ein schreckliches Konstrukt der bürgerliche Staat ist.

Die Solidarität hat uns an diesem Tag so stark gemacht, weil wir uns nicht haben spalten lassen, sondern zusammen standen. Zusammen gegen die Verbrechen des Staates. Zusammen gegen die Unterdrückung von Menschen anderer Herkunft. Zusammen für eine solidarische Perspektive.

Es sind die Solidarität und der Widerstand, die uns heute hier stehen lassen. Es ist keineswegs so, dass wir uns sonderlich gerne in diesem Gerichtsgebäude aufhalten. Denn nicht nur steht es wieder einmal dafür, wie unsere Freund*innen für ein Handeln bestraft werden sollen, das wir in jeder Weise für gut heißen.

Nicht nur steht für unseren Genossen heute die wenige Freiheit auf dem Spiel, die ein wachsender Überwachunsgstaat in seinen engen Maßstäben überhaupt noch zulässt.

Nicht nur geht es heute darum, der staatlichen Nacherzählung des 31.Mais, die die tatsächlichen Geschehnisse ins Gegenteil verkehren möchte, etwas entegenzusetzen.

Nicht nur sind wir wütend, weil unser Genosse wegen einer vollkommen richtigen Handlung vor Gericht steht und wir als solidarische Zuschauer*innen auch noch schikanöse Auflagen erhalten. Es sind doppelte Kontrollen mit Ausweiskopien vorgesehen und außerdem wurde die lächerliche Anweisung ergänzt, dass Zuschauer*innen nicht “verwahrlost” aussehen dürfen. Hier sehen wir wieder, wie kleinkariert diese Menschen sind. Deren Horizont hört da auf, wo der Fleck auf dem Tshirt anfängt.

Nein, so unträglich allein diese Gründe auch sind: Es geht heute auch, wie bei jedem einzelnen juristischen Verfahren, um weitaus mehr. Für den Staat ebenso wie für uns. Denn es ist kein Geheimnis, dass die Justiz einzig und allein der Aufrechterhaltung staatlicher Herrschaft dient und allen Ungleichheiten, die damit einhergehen. An diesem Fakt ändern auch noch so schöne Schaubilder von der “Gewaltenteilung” nichts, ebenso wenig wie die Schwarz-Weiß-Malerei von “Schuld und Unschuld” oder das Märchen von der “Gleichheit vor dem Gesetz”. Denn wie diese angebliche Gleichheit aussieht, lässt sich unter anderem an den Prozessen rund um den 31.Mai gut erkennen: Amtsträger*innen des Staates werden so unantastbar, dass selbst eine harmlose Berührung schon in Freiheitsstrafen endet, während selbige Amtsträger*innen gleichzeitig hemmungslos und ungestraft Gewalt ausüben können. Trifft die Gewalt doch zumeist jene, die in dieser Gesellschaft kaum eine Stimme haben, die “Überflüssigen” und jene, die zurechtgebogen werden müssen, damit sie Staat und Kapital nützlich sind.

Am 31.Mai jedoch war etwas anders. Diesmal war ein breiterer Querschnitt der Gesellschaft von der Gewalt des Staates betroffen. Entsprechend laut war der Aufschrei. Doch so wichtig die Aufarbeitung der Ereignisse dieses Tages aus unserer Sicht auch ist, wir dürfen dabei eine Sache nicht vergessen:
Die Gewalt, die am 31.Mai auch die Öffentlichkeit unverstellt zu sehen bekam, ist alltäglich. Es ist dieselbe Gewalt, die Geflüchtete mit zynischen Kommentaren nach Afghanistan und in den Tod abschiebt; dieselbe Gewalt, die Menschen an den Außengrenzen Europas zu Tausenden sterben lässt und gleichzeitig weltweit Armut und Krieg generiert. Dieselbe Gewalt, die sich innerhalb Europas und Deutschlands gegen die sozial Ausgegrenzten richtet. Neben Geflüchteten oder migrantisch definierten Menschen, Arbeitslosen oder Arbeitsunwilligen, trifft sie oft Arme, Drogenabhängige, Lebenskünstler*innen, Rentner*innen usw. Für sie gibt es meist keinen Platz in der gegenwärtigen Gesellschaft.

Die Gewalt gegen sie, gegen uns alle ist es, was den modernen Staat und seine Demokratie schützt, stützt und im Kern definiert. Sie ist deshalb nichts, was sich durch Unterschriftenkampagnen oder das Wählen einer anderen Partei auflösen ließe; kein moralisches Unding, das wir einzelnen Täter*innen vorhalten können, um tadelnd Besserung anzumahnen.

Bei aller gerechtfertigten Wut auf jene, die das Prügeln zu ihrem Handwerk gemacht haben: Eine Individualisierung dieser Gewalt, wie Gerichte sie bei den seltenen Prozessen gegen Polizist*innen vorzunehmen versuchen, trägt nur dazu bei, den eigentlichen Ursprung der Gewalt zu verschleiern.
Gewalt beruht auf Macht und hat als solche ein in sich völlig logisches System. Ein Staat versucht sich in erster Linie immer selbst zu schützen – und damit die Machtverhältnisse, auf denen er aufbaut. Es geht hierbei vor allem darum, die gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Aber auch die Bewahrung von Mechanismen wie beispielsweise Rassismus und Sexismus spielen eine Rolle, weil sie ebenso dazu dienen, Herrschafts- und Unterdrückunsgverhältnisse zu bewahren. Mit konkreter und struktureller Gewalt sollen hierbei Privilegien nur für bestimmte Menschen gelten, während ein Leben in Würde und Selbstbestimmung anderen verwehrt wird.

Die überwiegende Zahl sowohl der Strafgesetze als auch der Strafverfahren beziehen sich entweder auf den Schutz von Eigentum oder den Schutz des Staatskörpers. Wer hierin den Zusammenhang nicht erkennen mag; wer nicht sieht, dass der Staat nur ein Garant bürgerlicher Herrschaft ist – der ist wohl auch noch immer in dem Denken gefangen, dass die parlamentarische Demokratie mit ihrem Parteien- und Mehrheitssystem jemals so etwas wie echte Gleichberechtigung und Mitbestimmung aller bringen könnte. Doch so wie der demokratische Staat nichts anderes ist, als ein funktionierender Verwalter des gut geschmierten Kapitalismus, so ist auch die Justiz nicht anderes als ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Herrschaft von Kapital und Staat. Mit ihrer Hilfe sollen jene, die gerade Macht und Privilegien besitzen, diese behalten und sogar noch ausbauen können. Und auf der anderen Seite soll dafür gesorgt werden, dass der Rest auch weiter fügsam die Maschinerie am Laufen hält.

Ausbeutung, Vereinzelung und Entfremdung von unserem Umfeld und von uns selbst sind also Ausdruck genauso wie Folge unserer auf Machtgefällen und Ungleichheit aufbauenden kapitalistischen Gesellschaft. Dem allem dient die Justiz, dient Strafe, dient Knast.

Wer sich nicht anpasst, wer am Ende sogar offen dagegen rebelliert, der*die muss in dieser Logik gestraft und zurück in Reih und Glied geschickt werden. Gelingt das nicht, so muss zumindest ein Exempel an ihm*ihr statuiert werden. So, wie die Justiz es auch heute wieder versuchen wird: Der Staat will abstrafen, dass sich Menschen miteinander solidarisiert haben, und dafür sorgen, dass beispielsweise die Verhinderung einer Abschiebung Anderen aus Angst vor Strafe nicht mehr in den Sinn kommt.
Denn was die angeklagten Schüler*innen und die anderen Aktivist*innen getan haben, als sie sich am 31.Mai vor das Polizeiauto gestellt und gesetzt haben, hat die Macht des Staates grundlegend infrage gestellt. Genauso jedoch fordert es den Staat heraus, wenn jemand im Supermarkt etwas zum Leben mitgehen lässt und dadurch der herrschenden Logik der Eigentumsverhältnisse ganz praktisch widerspricht. Und ebenso fühlen der Staat und die von ihm vertretenen Eigentümer*innen sich provoziert, wenn wir uns einfach die Häuser, Straßen und Plätze dieser Stadt nehmen, weil sie uns allen gehören sollten.

Das ganze Leben wird zum Widerspruch gegen die herrschende Systemlogik, wenn wir anfangen, es so zu gestalten, wie wir und alle, die hier sind und hier bleiben möchten, es wollen.
Deshalb straft ein Staat auch auf verschiedenen Wegen. Doch ob nun jemand wegen politischem Aktivismus oder wegen sogenannten Eigentumsdelikten bestraft wird; ob man in den Knast kommt, weil man eine Abschiebung verhindert hat oder weil man die alltägliche Schikane von Autoritäten nicht mehr hinnehmen wollte: Der Zweck der Justiz, die Herrschaftsverhältnisse so wie sie sind zu sichern, ist in allen Fällen gleich.

Man kann die Grundfesten des Staates nicht angreifen, ohne seine Gefängnisse anzugreifen. Freiheit ist nur dann umfassend gedacht, wenn sie für alle gilt. Heute reicht es uns nicht, nur Freiheit für “politische Gefangene” zu fordern, sondern die Freiheit aller Gefangenen!

Wir wollen nicht nur die Knäste in der Demokratie einreißen, sondern auch solche in vermeintlich emanzipatorischen Staaten. Gefangenschaft ist Unterdrückung, und solange wir selbst in unseren Utopien an diesem Muster festhalten, werden wir das eigentliche Übel der Herrschaft nicht los.
Lasst uns also daran arbeiten, eine wirklich positive Perspektive zu formulieren, die andere Wege des Umgangs mit Konflikten ermöglicht. Dazu gehört nicht nur eine Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse und der patriarchalen Zustände, sondern eben auch das Ende von nationalem Denken, Abschottung und Rassismus, durch die Menschen eher gegeneinander als gegen die Ursachen ihrer Unterdrückung ausgespielt werden.

Die Demonstrant*innen vom 31.Mai haben darin einen Anfang gemacht. Lassen wir sie jetzt nicht allein. Ganz egal was am Ende des heutigen Prozesstages für unseren Genossen steht: Weder er noch wir werden ruhen, bis Herrschaft von Menschen über andere Menschen ein Ende hat. Bis alle Mauern eingerissen wurden; die zwischen Staaten genauso wie die der Abschiebeknäste und sämtlicher Gefängnisse!

Für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen – für die Anarchie!